Unglückstag 8

Flug 3107 - in 10 Tagen um die Welt

Nach Informationen der Zeitung „Im Bild“, soll es doch Überlebende geben. Den Berichten zufolge gäbe es morgen sogar ein großer Empfang für die Geretteten (Elternbesuchstag, ab 14 Uhr in Igelsloch) … lesen Sie Tag 9 der Lagerstory!

Fluchtpläne und ein Schiff am Horizont

Alles war plötzlich anders. Das Leben, wie wir es uns eingerichtet hatten war auf den Kopf gestellt. Nun lebte dieser dunkelhäutige Wilde unter uns. Einerseits fürchtete ich mich vor ihm, andererseits waren wir in der Überzahl und er wirkte so unterwürfig und harmlos. Alles was wir besaßen, schien diesem Fremden wie ein Wunder vorzukommen. Jeden Gegenstand betrachtete er ausgiebig, wiegte ihn in den Händen, streichelte ihn … Ich muss gestehen: Ich sah plötzlich meine eigenen Dinge mit anderen Augen, sozusagen mit denen unseres seltsamen Gastes. Dann geschahen zwei Dinge, die mir und Robinson sehr am Herzen gelegen waren: Erstens brachte Robinson dem Fremdling bei, wie man sich halbwegs züchtig kleidet. Und zweitens gelang es mir nach vielen Anläufen eine Antwort auf die Frage „Wo kommst du her, Fremder?“ zu bekommen. Die Antwort stand alsbald im Sand geschrieben und lautete etwas so: „Ich stamme von der Insel, die man dort hinten bei gutem Wetter sieht. Sie ist von mehreren Stämmen bewohnt. Diese Stämme bekriegen sich gegenseitig. Wer beim Gegner Gefangene macht, isst diese für gewöhnlich auf. Eure Insel ist eine besonders schöne Insel. Hier macht das Feiern besonderen Spaß. Ich war schon einmal mit dem Boot hier und habe gut gespeist. Dieses Mal war ich der Dumme und sollte gebraten werden. Ihr seid meine großen Retter! Dafür bedanke ich mich mit vielen tiefen Verbeugungen.“

Viel später, als ich mich besser an die Art und Ausdrucksweise des Fremdlings gewöhnt hatte, erfuhr ich mehr: Ich verstand das Wort „Karibe“ und dabei zeigte unser seltsamer Gast auf sich. Außerdem benutzte er öfter das Wort „Trinidad“ und zeigte auf den fernen Küstenstreifen am Horizont. Wenn wir das alles richtig verstanden, befanden wir uns auf einer Karibischen Insel unweit von Trinidad. Dies alles ließ mich mit einem Schlag anders fühlen. Wir waren also doch nicht so weit von der Zivilisation entfernt … Hoffnung keimte auf!

Mich störte es, dass wir den Namen unseres Gastes nicht wussten. Möglicherweise hatte er gar keinen. Was wusste ich schon über diese Wilden, die man Indianer nannte? Schließlich nahm ich den Kalender zu Hilfe, den wir in Baumrinden geritzt hatten. Nach diesem war uns der Fremdling an einem Freitag begegnet. Und so nannten wir ihn dann auch. Interessanterweise nahm unser Gegenüber diesen Namen auch gleich an. Er verstand auch durchaus, dass man uns „Robin, Robinson und Bogdan“ nennen konnte. Überhaupt verblüffte mich dieser Mensch durch seine Lernfähigkeit. Dieser Freitag hatte keine Mühe all unsere Worte umgehend zu lernen. Obwohl sich das alles problemlos anhört, war es das nicht. Denn ohne Zweifel lebte mitten unter uns ein Menschenfresser. Was wussten wir schon von der Seele eines solchen Kannibalen? Erst recht von seinem Appetit! Mehr als einmal wurde in meinen Träumen an mir genagt und ich wachte schweißgebadet auf. Jedoch kam es mir so vor, als ob auch Freitag manchmal wach lag … Was wäre, wenn er ebenso Angst vor uns hatte? … Naja, jedenfalls versucht Bogdan, diesem Freitag unseren Speisezettel beizubringen. Wir aßen ganz gerne Ziegenfleisch, dann und wann brieten wir einen Vogel oder ließen uns frisch gegrillten Fisch schmecken. Wir versuchten es aber auch mit anderer Nahrung. So hatten wir inzwischen eine üppige Getreideernte. Mit den Körnen und dem Mehl hatten wir gelernt Brot und Fladen zu backen. Dies alles wollte unserem Gast jedoch nicht so richtig munden. Stattdessen bereicherte er unsere Speisekarte auf sehr überraschende Weise. Eines Tages kam Freitag mit zig verschiedenen bunten Früchten. Wir hatten diese zum Teil auch schon entdeckt, sie aber aufgrund ihrer Form und Farben gemieden.

Freitag wurde uns also zu einer Bereicherung. Vieles machten wir gemeinsam. Und oft war es Freitag, der geschickter als wir alle zusammen waren. Vom Flechten und Töpfern verstand er zum Beispiel eindeutig mehr. Und mit der Natur der Insel kannte er sich natürlich auch besser aus. Dann, eines Tages erfuhr ich etwas Überraschendes. Ich hatte Freitag mit einfachen Gesten und Worten von meiner Heimat erzählt. Daraufhin berichtete Freitag mir auch von seinem Volk und von den „Weißmännern“, die dort lebten. Ich stutzte. Bisher hatte sich Freitag immer so holprig ausgedrückt, dass ich nicht an Leute unserer Rasse gedacht hatte. Als ich nachfragte, bestätigte er mir: „Ja. Viele Weißmänner mit Boot bei Kariben gelandet. Kariben niemand aufgegessen. Kariben nur Feinde essen.“ Auf einmal war meine Ruhe dahin. Das musste ich sofort Robinson und Bogdan erzählen. Wenn die Wilden mit ihren primitiven Auslegerbooten den Weg übers Meer schafften, weshalb sollte uns das Gleiche nicht gelingen? Eines allerdings gab Bogdan zu bedenken: War der Stamm Freitags wirklich so friedlich gegenüber den „Weißmännern“? Wie konnte man dem anderen Stamm, mit dem Freitags Leute im Krieg waren, aus dem Weg gehen? Trotzdem wollten wir es wagen! Gerade waren wir dabei, die Vorräte zu laden, da schreckte uns Freitag mit lauten Rufen: „O Meister! O Herren! O Sorge! O schlimm!“ Er zeigte aufs Meer und war so aufgeregt, wie ich ihn noch nie erlebt hatte. Wir unterbrachen unsere Arbeit und riefen: „Was ist denn los?“ … „Großes weißes Ungeheuer!“, schrie Freitag und zitterte dabei am ganzen Körper. Ich rannte zum Strand um mir einen Blick über die Lage zu verschaffen … dann musste ich laut lachen: Ein gutes Stück auf dem Meer war ein großes Schiff zu sehen. „Unsere Rettung ist da! Unsere Rettung ist da!“ schrie ich mehrmals so laut ich konnte bis auch Bogdan und Robinson am Strand standen um zu sehen, was los war. Während ich dem völlig verdutzten Freitag zu erklären begann, rannte Robinson zum Fort. Kurze Zeit darauf war er mit einer Muschel zurück. Mit der Perlmutt glänzenden Innenseite der Muschel und der Sonne begann er das Notsignal „SOS“ zu erzeugen. Würde das Schiff darauf reagieren?

Robinson befahl uns „Schnell, macht ein Feuer … eine Wolke schiebt sich vor die Sonne!“ – Während ich hektisch nach trockenem Holz suchte, betete ich im Stillen „Herr, hilf uns! Herr, rette uns!“ … Und tatsächlich schien es, als ob das Schiff näher kommen würde. Wir fuchtelten wie wild und lagen uns lachend in den Armen. Dann stoppte der weiße Riese in gut 500 Meter Entfernung. Auf dem Schiff sahen wir einige Personen winken. Sie würden doch jetzt nicht freundlich winkend an uns vorbei fahren, ging es mir durch den Kopf, ehe sich der Kapitän mit einem Megaphon zu Wort meldete: „Wir können leider nicht näher kommen, Felsen und Wassertiefe sind nicht abzusehen!“ … Kurz entschlossen machten wir uns den Weg. Glücklicherweise war wieder einmal Ebbe und daher kaum Brandung. Nichts und niemand konnten uns hindern umgehend ins offene Meer zu schwimmen. Am Ufer legten wir alle überflüssigen Kleidungsstücke ab, wateten ins Wasser und schwammen los.

Wir erreichten das riesige Schiff, das steil aus dem Wasser ragte. Unter Beifall der Passagier zogen uns der Kapitän und seine Crew mit Rettungsringen an Bord – „Gott sei Dank!“

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