Nach wie vor gibt es keine neuen Erkenntnisse über die Position der Notwasserung … lesen Sie Tag 3 der Lagerstory!
Allein in der Wildnis
Kaum war ich auf wackeligen Beinen über einige Felsen geklettert um eine besser Aussicht zu haben, blieb ich wie vom Blitz getroffen stehen: Gar nicht weit vom Ufer lag zwischen zwei Felsen eingeklemmt der vordere Rumpf unserer Frachtmaschine. Einige Wrackteile trieben weit verstreut auf dem Meer. Ich stand wie in Trance. All die Bilder vom Unwetter und der Notwasserung waren wieder da … welches Schicksal hatte nur die Anderen getroffen, war ich etwa der einzige Überlebende? Sorgen und Einsamkeit überkamen mich … wären wir jetzt gemeinsam hier, könnten wir uns überlegen, was in dieser verzweifelten Situation zu tun wäre … Wir könnten uns gegenseitig Mut zusprechen … Wir könnten uns die verschiedenen Aufgaben teilen … Da plötzlich hielt ich Inne. Etwas Dunkles kam immer näher, direkt ans Ufer geschwommen … Ich kletterte an den Rand des Felsens. Mein Herz pochte. Ich hatte mich nicht getäuscht: Es war Arko! Es war der Hund, der auch mit diesem unglückseligen Frachtflugzeug transportiert wurde. Offensichtlich hatte er bis jetzt die Überreste des Flugzeugs bewacht. Erst bei meinem Auftauchen auf den Felsen hatte er – als Allerletzter – das Wrack verlassen.
„Komm her, mein Guter!“, rief ich und stolperte ihm entgegen. Meine Stimme klang mir selbst fremd. Ich hatte sie schon lange nicht mehr gehört. Zu meiner Enttäuschung gab es keine innige Begrüßung. Arko schien äußerst verstört. Nervös rannte er am Ufer auf und ab. Zwischendurch hielt er Inne und schnüffelte hektisch. Irgendetwas schien ihn zu verunsichern. Vielleicht spürte er die Gefahren, die uns auf diesem unbekannten Stück Land erwarteten. Auch meinem zweiten Annäherungsversuch wich der Hund aus und suchte sich einen Weg durch die Felsen. „Arko! Bleib bei mir! Arko!“, rief ich mit matter Stimme. Ich wollte ihm folgen, aber das war vergeblich. Ein unglaubliches Schwächegefühl ergriff von meinem Körper Besitz. Mit einem Mal und seltsamerweise erst jetzt wurde mir bewusst, was mir fehlte. Ich hatte vor Ewigkeiten den letzten Schluck Wasser zu mir genommen. Vom Essen ganz zu schweigen … Du wirst verdursten, schoss es mir durch den Kopf. Du hast keinen Krümel Proviant. Ich fühlte beklemmende Angstgefühle in mir hochsteigen. Sollte ich eine Notwasserung überlebt haben um hier nun zu verdursten oder zu verhungern?
In diesem Augenblick tauchte Arko wieder auf. Zu meiner Überraschung kam er jetzt ganz nah. Ja – er stupste mich mit seiner feuchten Schnauze an und schien mir etwas mitteilen zu wollen. Er entfernte sich wieder von mir, hielt Inne, kam zurück und rannte wieder den gleichen Weg. „Ja, Arko … ich komme“, sagte ich fast tonlos und folgte dem Tier. Es war ein mühsamer Weg über scharfkantiges Gestein, durch heißen Sand immer dem üppigen Grün entgegen, das in einiger Entfernung bis zum Strand wuchs. Plötzlich hörte ich lautes Kläffen. Ich blieb abrupt stehen. Mein Herz klopfte laut: Arko war hinter den Büschen verschwunden und gebärdete sich wie wild. Das konnte nur eines bedeuten, es drohte Gefahr! Unwillkürlich griff ich nach einem großen Stecken, der vor mir im Sand lag. Vorsichtig schlich ich vorwärts. Das Kläffen wurde lauter. Ich blieb stehen. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Wohin sollte ich fliehen, wenn …? Da lugte Arko aus den Büschen und bellte mich an. Ich gehorchte und folgte ihm. Alles weiter geschah wie in Trance: Ich weiß nur noch, wie ich mit den Knien in klares Wasser sank. Ich tauchte mein Gesicht in kühles, süßes Wasser … und trank und trank und trank.
Als ich meinen Kopf wieder hob, sah ich den schlabbernden Hund neben mir. Erst jetzt nahm ich meine Umgebung war: Es war ausgesprochen schön, ja idyllisch an diesem Platz. Merkwürdige, fremdartige Pflanzen rankten sich an den ebenso eigenartigen Bäumen, das Wasser des Flusses war blaugrün und kristallklar. Kurz flackerte Hoffnung in mir auf, doch dann begann ich mich wieder zu fürchten. Hier, in der Nähe des Dickichts konnte sich jeden Moment ein feindliches Wesen auf mich stürzen. Ich musste so schnell wie möglich wieder ins Freie, an den offenen Strand. Dort begann ich den Strand soweit wie möglich abzugehen. Vielleicht gab es doch noch andere, die ähnliches Glück wie ich gehabt hatten. Aber was rede ich von Glück an diesem einsamen Ort.
Schließlich erreichte ich einen Teil des Strandes, von dem man einen weiteren Küstenstreifen überschauen konnte. Ich blieb wie angewurzelt stehen, denn gleich vor mir lagen Gegenstände, die mir sehr bekannt vorkamen. Verzweifelt suchte ich mit meinen Blicken den Strand ab: Niemand! Keine Menschenseele! Ich hatte lediglich die Kapitänsmütze und eine Weste gefunden. Die Weste gehörte Olaf, dem Koch unseres Flugzeugs. Ich war allein. Total allein. Ich fühlte Tränen in meine Augen steigen. Ich hörte mich schluchzen. Ich konnte nicht mehr und musste hemmungslos weinen. Keine Ahnung, wie lange ich so da stand und meinen Gefühlen freien Lauf ließ. Ich merkte nur irgendwann, dass es dämmrig geworden war … Die Tiere! Ging es mir wieder durch den Kopf. Am Abend kamen doch viele Tiere aus ihren Schlupflöchern. Ich musste mir dringend einen Platz suchen, wo ich die Nacht sicher verbringen konnte! Schnell ergriff ich die Kapitänsmütze sowie die beige Weste und suchte nach einem geeigneten Schlafplatz. Ich näherte mich vorsichtig den Bäumen hinter den Felsen. Einen, von dem ich guten Ausblick hatte, wählte ich als meinen Schlafplatz aus. Mit Mühe kletterte ich in das dichte Laubwerk. Gerade wollte ich mich weitertasten, als mich ein lautes Rascheln direkt über mir schreckte. Ich wagte nicht zu atmen. Ich wagte nicht hoch zu schauen. Dann ein erneutes Rascheln, Flügelschlagen … und ein großes, buntes, papageienähnliches Federtier flog direkt vor meiner Nase davon … „Verflixte Angst!“ – Bisher hatte ich mich für einen ziemlich furchtlosen Menschen gehalten. Hier jedoch fühlte ich mich völlig ausgeliefert und schutzlos.
Eine zeitlang lauschte ich in die Dämmerung. Dann machte ich es mir in einer breiten Astgabel bequem. Ein kantiger Gegenstand drückte mir unangenehm in die Rippen. Ich tastete die Weste, die ich angezogen hatte, ab und was kam zum Vorschein: Ein kleines Päckchen Streichhölzer! Unglaublich, ich hatte einen kleinen Schatz gefunden. Es waren zwar nur wenige, feuchte Zündhölzer, aber immerhin eröffnete das für den morgigen Tag neue Möglichkeiten. Ich konnte Holz sammeln, Feuer machen und vielleicht sogar etwas Kochen oder Grillen. Meine Gedanken drehten sich als Letztes um ein Signalfeuer während mich eine tiefe, lähmende Müdigkeit überkam … Schnarch … Schnauf … Schnarch …